Manchmal schreibt jemand einige Worte. Andere bringen Bilder mit. Oder jemand hinterlässt ein Lied oder einen Videolink. Eine Besucherin schrieb auch mal einige Gedichtzeilen. Es ist ein Ort der Erinnerung und der Trauer, manchmal sogar der Begegnung untereinander – und es ist das Profil einer Toten. Eines der Facebookprofile, die in den nächsten Jahren sprunghaft zunehmen werden – die Profile von Verstorbenen. Sie werden nicht nur deshalb zunehmen, weil es bekanntlich nicht einfach ist, bei Facebook (aber auch vielen anderen Netzwerken) etwas wirklich löschen zu lassen und weil auch viele Angehörige gar nicht wissen, dass so etwas überhaupt existiert oder wie sie da noch rankommen sollen. Sie werden aber auch deshalb zunehmen, weil das persönliche Onlineprofil von Verstorbenen bewusst stehen gelassen wird – wie in diesem Fall.
Sie war eine junge Frau in den Dreissigern, die Anfang des Jahres bei einem Unfall ums Leben kam. Bei der Betreuung der tief betroffenen Angehörigen, Freunde und Kollegen hatte ich genauso mitgewirkt wie bei der Trauerfeier und Bestattung. Und weil ich die Verstorbene nicht nur persönlich kannte, sondern mit ihr auch online vernetzt war, erlebte ich dann diese Entwicklung ebenfalls mit. Zunächst beschloss eine andere Beteiligte, das Onlineprofil ihrer verstorbenen Freundin nicht zu löschen, sondern erstmal einfach stehen zu lassen. Daraufhin entwickelte es sich über die Monate zu dem beschriebenen Gedenkort im Web. Theologisch und trauerpsychologisch fand ich das einen spannenden Prozess. Denn er gibt auf neue, virtuelle Weise der alten Sehnsucht des menschlichen Herzens einen Raum, einen eindeutigen, sichtbaren Ort für die Trauer zu haben. Was geschieht, wenn solche Orte nicht vorhanden sind, beschrieb Karin Erichsen im November in einem Artikel zur anonymen Bestattung in Gemeinschaftsgräbern und Friedwäldern:
„Auf vielen Friedhöfen dürfen Freunde und Verwandte der anonymen Beisetzung nicht einmal beiwohnen. Es soll vermieden werden, dass sie später […] Blumen, Kerzen und andere Grüße auf dem Rasen des Urnengemeinschaftsfeldes ablegen. So verschwinden verstorbene Familienmitglieder oft ohne Abschiedszeremonie und ohne dass ein Ort zum Trauern bleibt, wo Kinder, Enkel, Bekannte sich erinnern könnten.“
Vielleicht wird das Web2.0 für Menschen, die ohnehin ganz selbstverständlich damit leben, nicht nur eine Möglichkeit zur Kommunikation oder Verabredung, immer mehr auch wichtiger Ort der Trauer werden? Können die Profile der Toten über das Sterben hinaus hier eine helfende Funktion erfüllen? Trauerpsychologisch würde das jedenfalls Sinn machen. Aber auch weitere Fragen folgen: welche Chancen für den Trauerprozess und die Begegnung untereinander bieten sich dadurch – und zwar auch im seelsorgerlichen oder missionarischen Sinn?
Denn im Gegensatz zu reinen Gedenkseiten mit Bildern und Daten (die es ja schon länger im Netz gibt) bieten die Profile des Web2.0 weiterhin den Vorteil und die Möglichkeit der Interaktion, die Freundinnen und Freunden von Verstorbenen bereits vertraut ist. Spannend kann es auch sein, wenn sich über das reine Gedenken hinaus auch eine Begegnung der Trauernden untereinander oder auch eine kleine Begleitung auf einem Stück des Weges ergibt. So habe ich einigen, die etwas in dem genannten Profil hinterlassen haben, eine kleine persönliche Nachricht zukommen lassen. Manchmal entstand daraus ein Austausch – und manchmal auch erst viel später eine Rückfrage, bei der es bereits um ganz andere Themen ging.
Zum einen wird auch durch ein Profil der Name eines Verstorbenen weiterhin bewusst gemacht und wertgeschätzt. Das entspricht auch christlicher Tradition, wie es Pröpstin Friederike von Kirchbach in dem genannten Artikel formuliert: „Gott hat jeden Menschen bei seinem Namen gerufen“, zitiert sie aus dem Buch Jesaja (Jes 41,1). Deshalb sei der Name auch über den Tod hinaus so bedeutsam in der Beziehung zwischen Mensch und Gott.“ Zum anderen ergibt sich dadurch aber auch eine ganz neue Möglichkeit, die Trauer von Freunden oder Angehörigen wahrzunehmen und sie darin zu begleiten.
Mit allen diesen Gedanken bin ich noch nicht fertig und vieles ist noch mehr Frage als Antwort. Auf jeden Fall werden die Profile der Toten in Zukunft rasch zunehmen. Und ob wir wollen oder nicht: wie bei vielen anderen Entwicklungen stellt sich auch hier die spannende Frage, ob und wie wir als Christen und als Kirche damit umgehen werden.