gesegnete weihnachten

Weihnachten – wir feiern die Menschwerdung Gottes. Seine Gnade scheint auf in einer dunklen, verlorenen Welt. Wie kaum ein anderer hat für mich Jochen Klepper diese Botschaft der Geburt Jesu in Worte gefasst:

Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern.
So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern!
Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein.
Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.

Dem alle Engel dienen, wird nun ein Kind und Knecht.
Gott selber ist erschienen zur Sühne für sein Recht.
Wer schuldig ist auf Erden, verhüll nicht mehr sein Haupt.
Er soll errettet werden, wenn er dem Kinde glaubt.

Die Nacht ist schon im Schwinden, macht euch zum Stalle auf!
Ihr sollt das Heil dort finden, das aller Zeiten Lauf
von Anfang an verkündet, seit eure Schuld geschah.
Nun hat sich euch verbündet, den Gott selbst ausersah.

Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld.
Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld.
Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr,
von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.

Fremder, ungewohnter und eindringlicher als die deutsche Christkindlromantik bringt dieser byzantinische Hymnus die Weihnachtsbotschaft zum Klingen, den ich neulich in der Blogwelt fand. In der Welt des Mittleren Ostens haben Christen schon Anbetungslieder gesungen, als Europa noch keine Ahnung vom Evangelium hatte:

Gesegnete Weihnachtstage allen!

der pastor von ‚the pit‘

Am eindrücklichsten sind immer die persönlichen Geschichten. Die Geschichte des New Yorker Pastors Lyndon Harris, die Dr. Hartmut Hanauske-Abel aus dem Tagen des 11.September 2001 dokumentiert hat, ist mehr als eindrücklich. Sie ist zutiefst bewegend. Sie erzählt von den vielen unbekannten Helden, die nach dem Anschlag gerettet, geborgen und aufgeräumt haben. Sie erzählt von St.Pauls Chapel, einer Kirche, die für unzählige die letzte Zufluchtsstätte und eine „Oase in der Hölle“ wurde. Und sie erzählt von einem Pastor, der nahe bei den Menschen war und im Namen Jesu half, als Hilfe nötig war:

Lyndon Harris begann, „vor St. Paul Speis und Trank zu bereiten. Kostenlos für jeden in Ground Zero, rund um die Uhr. Gesundheitsinspektoren intervenieren. Polizisten drängen sie fort. Die Stahlarbeiter schweißen riesige Grills, Lyndon platziert sie unter Montgomerys Denkmal. Als es endlich Strom gibt, wird in der Sakristei gekocht. Aus New Yorks Hotelküchen und Toprestaurants kommen 3000 Essen am Tag. Mitglieder der Gemeinde organisieren mehrere Tausend Freiwillige, die zu St. Paul strömen: Christen, Juden, Muslime, Buddhisten, Atheisten, Sikhs, Hindus – e pluribus unum. Kisten voller Spenden: Verbandsmaterial, Socken, Seife, Schokolade, Unterwäsche, Kissen, Decken. Lasterweise schwere Arbeitsschuhe, Ersatz für jene, deren Sohlen verbrannt sind auf dem heißen Stahl. Futter für die Spürhunde, die Überschuhe an den Pfoten tragen, die nach Überlebenden suchen, keine finden und nur zu beruhigen sind, indem sich versteckte Arbeiter aus den Ruinen retten lassen. Schlafende in Notbetten und Bänken, Massagen für jeden, dessen Rücken schmerzt nach stundenlanger Knochensuche in der Asche. Sie finden 21.800 Menschenteile von 2752 Getöteten, nur 1630 identifizierbar.“

Es wäre schön, wenn die Geschichte damit enden würde. Doch sie endet damit, dass Pastor Harris für seinen Einsatz bitter bezahlen muss: er hat nicht nur unter gesundheitlichen Folgen zu leiden, sondern wird auch noch von seiner Kirche geschasst und zur Unperson gemacht. Weil es wohl nicht geht, dass man „all diese komischen Typen“ (gemeint waren die verdreckten Retter von Ground Zero) in einer saubere, liturgisch korrekte Kirche lässt. Und weil der leitende Pfarrer und Rektor der Muttergemeinde sowie der Bischof den Ruhm für sich selbst haben wollten. Es ist deshalb auch die Geschichte eines tiefen Scheiterns von Kirche und ein beschämendes Armutszeugnis für die anglikanische Kirchenleitung. Mir tat es weh, sie zu lesen. Und ich kann verstehen warum der Kinderarzt nun sagt: „Wenn ich heute den sonntäglichen Gottesdienst in St. Paul besuche, kann ich meine Hände nicht mehr falten.“ Und daran ist nicht der Anschlag schuld – sondern die Kirche.

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Hier der gesamte Artikel in der ZEIT: „Das Martyrium des Lyndon Harris

brockensammlung (57)

Kleinere Brocken, aus dem Netz gefischt:

  • Bei so einer Überschrift stutzt natürlich der Theologe: Peter Glaser interpretiert des Internet als „Eine gigantische Maschine gegen den Tod„. Na gut, dem modernen Menschen bleiben wenigstens ein „dynamisches Gedächtnis“ und riesige Datenmengen. Doch wo bleibt eine echte Hoffnung?
  • Das „Kindertrauerland“ ist eine neue interaktive Webseite für Kinder, die Angehörige verloren haben. Dahinter steht „Trauerland“, ein Zentrum für trauernde Kinder und Jugendliche in Bremen.
  • Michael Hyatt hat ein paar guten Argumente, warum es wichtig ist, bewusst gut von unserem Ehepartner zu sprechen (englisch).
  • Woher kommt die weltbekannte „German Angst“? Ist sie ein konstruiertes Super-Mem aus Befürchtungslagen? Oder eventuell sogar genetisch bedingt? Oder ist es schlicht der „Negativitätsvorteil“: wer Angst hat, genießt Privilegien? Ein paar Gedanken von Matthias Horx zum Angst-Gen.
  • Mit drei „Briefen die nie geschrieben wurden“ schrieb Prof. Dr. Rüdiger Lux eine stilistisch sehr interessante Predigt zum Vaterunser und gewann damit auch den ‚Predigtpreis‘ 2011.

frühling

Löwenzahn ist schon seit jeher
als höchst kriegerisch verschrien,
denn er lässt bei gutem Winde
Fallschirmtruppen feindwärts ziehn.
Und ich sitz auf der Veranda
und verzehre meine Suppe
und entdecke in derselben
zwei Versprengte dieser Truppe.

(Heinz Erhardt)

die profile der toten – oder: trauer 2.0

Manchmal schreibt jemand einige Worte. Andere bringen Bilder mit. Oder jemand hinterlässt ein Lied oder einen Videolink. Eine Besucherin schrieb auch mal einige Gedichtzeilen. Es ist ein Ort der Erinnerung und der Trauer, manchmal sogar der Begegnung untereinander – und es ist das Profil einer Toten. Eines der Facebookprofile, die in den nächsten Jahren sprunghaft zunehmen werden – die Profile von Verstorbenen. Sie werden nicht nur deshalb zunehmen, weil es bekanntlich nicht einfach ist, bei Facebook (aber auch vielen anderen Netzwerken) etwas wirklich löschen zu lassen und weil auch viele Angehörige gar nicht wissen, dass so etwas überhaupt existiert oder wie sie da noch rankommen sollen. Sie werden aber auch deshalb zunehmen, weil das persönliche Onlineprofil von Verstorbenen bewusst stehen gelassen wird – wie in diesem Fall.

Sie war eine junge Frau in den Dreissigern, die Anfang des Jahres bei einem Unfall ums Leben kam. Bei der Betreuung der tief betroffenen Angehörigen, Freunde und Kollegen hatte ich genauso mitgewirkt wie bei der Trauerfeier und Bestattung. Und weil ich die Verstorbene nicht nur persönlich kannte, sondern mit ihr auch online vernetzt war, erlebte ich dann diese Entwicklung ebenfalls mit. Zunächst beschloss eine andere Beteiligte, das Onlineprofil ihrer verstorbenen Freundin nicht zu löschen, sondern erstmal einfach stehen zu lassen. Daraufhin entwickelte es sich über die Monate zu dem beschriebenen Gedenkort im Web. Theologisch und trauerpsychologisch fand ich das einen spannenden Prozess. Denn er gibt auf neue, virtuelle Weise der alten Sehnsucht des menschlichen Herzens einen Raum, einen eindeutigen, sichtbaren Ort für die Trauer zu haben. Was geschieht, wenn solche Orte nicht vorhanden sind, beschrieb Karin Erichsen im November in einem Artikel zur anonymen Bestattung in Gemeinschaftsgräbern und Friedwäldern:

„Auf vielen Friedhöfen dürfen Freunde und Verwandte der anonymen Beisetzung nicht einmal beiwohnen. Es soll vermieden werden, dass sie später […] Blumen, Kerzen und andere Grüße auf dem Rasen des Urnengemeinschaftsfeldes ablegen. So verschwinden verstorbene Familienmitglieder oft ohne Abschiedszeremonie und ohne dass ein Ort zum Trauern bleibt, wo Kinder, Enkel, Bekannte sich erinnern könnten.“

Vielleicht wird das Web2.0 für Menschen, die ohnehin ganz selbstverständlich damit leben, nicht nur eine Möglichkeit zur Kommunikation oder Verabredung, immer mehr auch wichtiger Ort der Trauer werden? Können die Profile der Toten über das Sterben hinaus hier eine helfende Funktion erfüllen? Trauerpsychologisch würde das jedenfalls Sinn machen. Aber auch weitere Fragen folgen: welche Chancen für den Trauerprozess und die Begegnung untereinander bieten sich dadurch – und zwar auch im seelsorgerlichen oder missionarischen Sinn?
Denn im Gegensatz zu reinen Gedenkseiten mit Bildern und Daten (die es ja schon länger im Netz gibt) bieten die Profile des Web2.0 weiterhin den Vorteil und die Möglichkeit der Interaktion, die Freundinnen und Freunden von Verstorbenen bereits vertraut ist. Spannend kann es auch sein, wenn sich über das reine Gedenken hinaus auch eine Begegnung der Trauernden untereinander oder auch eine kleine Begleitung auf einem Stück des Weges ergibt. So habe ich einigen, die etwas in dem genannten Profil hinterlassen haben, eine kleine persönliche Nachricht zukommen lassen. Manchmal entstand daraus ein Austausch – und manchmal auch erst viel später eine Rückfrage, bei der es bereits um ganz andere Themen ging.

Zum einen wird auch durch ein Profil der Name eines Verstorbenen weiterhin bewusst gemacht und wertgeschätzt. Das entspricht auch christlicher Tradition, wie es Pröpstin Friederike von Kirchbach in dem genannten Artikel formuliert: „Gott hat jeden Menschen bei seinem Namen gerufen“, zitiert sie aus dem Buch Jesaja (Jes 41,1). Deshalb sei der Name auch über den Tod hinaus so bedeutsam in der Beziehung zwischen Mensch und Gott.“ Zum anderen ergibt sich dadurch aber auch eine ganz neue Möglichkeit, die Trauer von Freunden oder Angehörigen wahrzunehmen und sie darin zu begleiten.

Mit allen diesen Gedanken bin ich noch nicht fertig und vieles ist noch mehr Frage als Antwort. Auf jeden Fall werden die Profile der Toten in Zukunft rasch zunehmen. Und ob wir wollen oder nicht: wie bei vielen anderen Entwicklungen stellt sich auch hier die spannende Frage, ob und wie wir als Christen und als Kirche damit umgehen werden.

brockensammlung (56)

Kleinere Brocken, aus dem Netz gefischt:

  • Uta macht sich Gedanken zu „Taken by a Stranger“ von Lena Meyer-Landrut. Aber nicht nur dieser Beitrag, sondern ihr ganzes Blog „Lyrics unter der Lupe“ ist immer wieder lesenswert! Mein persönliches Highlight dort war bisher „Tears in heaven“ von Eric Clapton.
  • „Aus Liebe zu Jesus“ – die WELT hat das von deutschen Medien total verzerrte Bild der 2009 im Jemen ermordeten Bibelschülerinnen Anita und Rita etwas korrigiert und verweist auf eine interessante Dokumentation von Bibel.tv.
  • „Glaube muss sich heute in einer Sprache ausdrücken, die die Herzen junger Leute erreichen kann“ – Pater Federico Lombardi bei der Vorstellung des neuen römisch-katholischen Jugendkatechismus YOUCAT.
  • Eine Art Bohnen-Zen für Fortgeschrittene zelebriert Daniel in einem klasse Beitrag zum „Kaffee filtern“.
  • „Präsentieren Sie nackt“ – viele nützliche Tips für einen besseren Vortrag, von denen auch Theologen profitieren können 🙂
  • „Rette sich, wer kann“ – Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit bereiten sich Menschen auf den nächsten, vielleicht endgültigen Finanzcrash vor. Die ZEIT über eine moderne Apokalypse-Community.

Jom haScho’a

Israel und das jüdische Volk begeht heute (nach dem jüdischen Kalender streng genommen seit gestern abend) den Nationalfeiertag des Jom haScho’a. Wie üblich wurde die zentrale Feier in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem abgehalten. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu zog dabei in seiner Rede eine klare Linie von der Erinnerung an vergangene Verbrechen zu den aktuellen Bedrohungen Israels im Nahen Osten:

„Alle zivilisierten Völker auf der Welt, all jene, die für sich in Anspruch nehmen, die Lektion aus dem Holocaust gelernt zu haben, müssen die eindeutig verurteilen, die zur Auslöschung des jüdischen Staates aufrufen. […] Die Bedrohung für unsere Existenz, unsere Zukunft, ist nicht theoretisch. Sie kann nicht unter den Teppich gekehrt werden; sie kann nicht verharmlost werden. Sie steht vor uns und der gesamten Menschheit und muss abgewendet werden. […] Der jahrhundertealte Hass auf die Juden erwacht heute von Neuem und nimmt die Form des Hasses auf den jüdischen Staat an.“

Die Berichterstattung westlicher Medien und der Umgang mit Israel in den Vereinten Nationen sind nur zwei Indikatoren dafür, dass Netanyahu mit seinem Fazit vermutlich recht hat: „Wenn wir nicht die Fähigkeit besitzen, uns selbst zu schützen, wird die Welt uns nicht zur Seite stehen.“

der unerklärte rest

Die Hoffnung der Mensch könne sich selbst verändern und zugleich die dunklen Mächte, die in ihm toben, bändigen, hat getrogen“ bilanziert Ulrich Greiner in einem interessanten Artikel, auf den ich durch einen Hinweis von godnews gestoßen bin.  Einst habe die Moderne dem Menschen mit der Eliminierung dessen, was sie für Gott hielt, den „Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Kant) versprochen, ein besseres, freieres Leben unter dem Banner der selbstbestimmten Vernunft. Auch eine neue, säkulare Ethik entstand und sollte helfen, zwischen richtig und falsch, nützlich und schädlich zu unterscheiden – allerdings nur, um an einem „unerklärten Rest“ zu scheitern. Nämlich an der Erkenntnis, dass der Mensch von Natur aus offenbar nicht edel, hilfreich und gut ist, sondern immer noch zum Gewalttäter am anderen wird. Und wo man die Sünde endlich pragmatisch entsorgen wollte, kam sie doch wieder in neuer, zweidimensionaler Gestalt zurück:

„Die wachsende Zahl der Verbote, Maßregelungen und repressiven Ratschläge, mit denen wir uns gegenseitig zu einer gesundheitsbewussten, sozial verantwortlichen und ökonomisch effektiven Lebensweise zwingen, ist Ausdruck der Tatsache, dass dem christlichen Abendland das Christentum abhandengekommen ist, nicht aber die Sünde. Vom Sex vielleicht abgesehen, steht alles, was Spaß macht, unter Verdacht: das schnelle Auto ebenso wie die Zigarette, der Schweinsbraten ebenso wie das Glas Schnaps. Nichts scheint verwerflicher als das gute Leben. […]
Auch die Askese ist wieder da. Der Zölibat erntet Hohn und Spott, aber die Idee, sich einer großen Sache so ausschließlich zu verschreiben, dass daneben kein Raum für Privates mehr bleibt, hat in anderen Sphären Anhänger gefunden. Politiker, die kein Familienleben mehr kennen, Wirtschaftsbosse, die rund um die Uhr im Einsatz sind, leben eine moderne Variante der Enthaltsamkeit. Der Gott des Geldes und des Erfolgs verlangt von seinen Dienern zuweilen mehr als der Gott der Christen.“

Greiner beschreibt treffend das bittere Dilemma des modernen Menschen, der gott los geworden ist: „Wir sündigen noch, können aber Verzeihung nur von uns selber erbitten. Wir haben die Sünde noch, aber keinen Gott mehr.“ Verzeihung nur noch von uns selbst? Wie gut, dass es immer noch die andere Botschaft von echter Vergebung und Freiheit gibt. Von einem Gott, der in Christus dem Menschen gnädiger ist als der Mensch dem Menschen.